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Vom Modellbau, vom Vorbild und von der Nähe des Modells zu seinem Vorbild

Wo Eisenbahnmodellbauer diskutieren, ist Modelltreue immer wieder ein Thema: Je näher das Modell dem Original ist, desto mehr Lob und Anerkennung erhält sein Erbauer. Wobei die Echtdampfer auf den grossen Spuren offenbar die leidenschaftlichsten Verfechter einer harten Linie sind, während die Frage in anderen Disziplinen des Modellbaus kaum diskutiert wird. Betrachtungen zu einem immerwährenden Thema.

 

ein Modell - was ist das?

Ein Modell ist ein Abbild der Wirklichkeit. [...] Es ist durch drei Merkmale gekennzeichnet:

  1. Abbildung. Ein Modell ist immer ein Abbild von etwas, eine Repräsentation natürlicher oder künstlicher Originale, die selbst wieder Modelle sein können.
  2. Verkürzung. Ein Modell erfasst nicht alle Attribute des Originals, sondern nur diejenigen, die dem Modellschaffer bzw. Modellnutzer relevant erscheinen.
  3. Pragmatismus. Pragmatismus bedeutet soviel wie Orientierung am Nützlichen. Ein Modell ist einem Original nicht von sich aus zugeordnet. Die Zuordnung wird durch die Fragen Für wen?, Warum? und Wozu? relativiert. Ein Modell wird vom Modellschaffer bzw. Modellnutzer innerhalb einer bestimmten Zeitspanne und zu einem bestimmten Zweck für ein Original eingesetzt. Das Modell wird somit interpretiert.

Wikipedia.de

 
©AllAboardToys.com Nach obiger Definition ist das Vehikel im Bild rechts ohne Zweifel ein Modell: Es ist (1) das Abbild einer Dampflok, es erfasst (2) nicht alle Merkmale des Originals und es orientiert sich (3) an seinem Zweck, dem Spielzeug. Dass wir dieses seltsame Gebilde eindeutig als Dampflok erkennen, ist übrigens eine interessante Sache: Offenbar genügen dafür bereits ganz wenige charakteristische Einzelheiten wie Räder, Kessel mit Schornstein und Führerhaus. Unser Gehirn ergänzt mühelos und automatisch die fehlenden Teile - hier etwa Zylinder und Steuerung - und ordnet dem Ganzen den Begriff Dampflok zu. Weiterlesen zB hier.

Wenn also jemand auf Sie zukommt und behauptet: "Was Sie hier gebaut haben, ist für mich kein Modell einer Dampflok!", dürfen Sie diese Äusserung getrost überhören. Die Definition des Modells ist so unscharf und so weit, dass Ihr Werk nur sehr geringe Ähnlichkeit mit dem Vorbild haben muss, um als Modell durchzugehen.

Treue ist ein schwieriges Kapitel - nicht nur im Modellbau

An dieser Stelle beginnt jetzt der gestandene Modellbauer die Definition einzuschränken, zunächst beim Punkt 2 Verkürzung. Man redet von Treue zum Vorbild oder Vorbildtreue und meint damit, das Modell müsse in allen seinen Teilen dem Vorbild gleich, also gewissermassen eine verkleinerte Kopie sein. Nun weiss aber gerade der erfahrene Modellbauer, dass diese Forderung unrealistisch ist. Modellbau ohne Kompromisse gibt es nicht, denn beim Bau des Originals gelten andere Gesetze als beim acht oder elf Mal kleineren Modell.

Nun ist das mit der Treue halt so eine Sache, das wissen wir alle aus dem täglichen Leben: Man kann nicht halb treu sein, man ist es oder man ist es eben nicht und Kompromisse gehören da nicht hin. Ich werde darum den Begriff Treue vermeiden und ihn ersetzen durch Nähe zum Vorbild oder Annäherung ans Vorbild. Reden wir also lieber von den Kompromissen, die wir eingehen müssen oder wollen. Und da stellen sich schnell Fragen wie: Welche Kompromisse? Wie gross dürfen/müssen sie sein? An welchen Orten wollen wir sie eingehen? Wie begründen wir sie?

Kompromisse finden ist eine kreative Tätigkeit!

Ich kann es auch anders ausdrücken: Offenbar gibt es einen Konflikt zwischen dem Vorbild und dem Modell. Wir möchten einerseits möglichst nahe beim Original bleiben, andrerseits verlangt dessen Verkleinerung zum Modell, dass wir vom Original abweichen. Es gibt einfach Teile am Original, die wir nicht massstäblich verkleinern können, ohne dass sie ihre Funktionstüchtigkeit einbüssen.

Ein Kompromiss ist die Lösung eines Konfliktes durch gegenseitige freiwillige Übereinkunft, meist unter beiderseitigem Verzicht auf Teile der gestellten Forderungen.
Wikipedia.de

 

Der Konflikt besteht zum Beispiel darin, dass das Vorbild unter einer Oberleitung fährt, diese sich im Modell aber aus praktischen Gründen nicht realisieren lässt. Als Kompromisse kann ich mir vorstellen:

  • man baut die Stromabnehmer aufs Dach, führt die Energie aber über eine Mittelschiene zum Fahrzeug,
  • man baut die Stromabnehmer aufs Dach, führt die Energie aber in einem Akku mit,
  • man wählt eine der beiden vorigen Lösungen, lässt aber die funktionslosen Stromabnehmer weg,
  • man baut keine Fahrzeuge nach, die unter Oberleitung fahren.

Die vier Vorschläge vergrössern schrittweise die Nähe zum Vorbild. Die letzte Lösung ist zwar die Radikalste von den dreien, sie ist aber auch die einschränkendste, denn sie schliesst vermutlich rund die Hälfte aller Triebfahrzeuge vom Modellbau aus.

Die Frage ist also: Wieviel Kompromiss darfs denn sein? Wenn Sie mögen, lesen Sie doch den Beitrag von LP Ernst in GartenBahnen 1/2010 noch einmal! Herr Ernst spricht davon, dass er wesentliche Teile seiner Modelllok nach eigenen Einsichten neu konstruiert hat, um Fehler beim Vorbild zu vermeiden. Herr Ernst nennt es Mogeln und schreibt, dass ihm das auch noch Spass gemacht hat. Ich glaube ihm das sofort, denn kreatives Suchen nach Kompromissen macht Spass! Gleichzeitig ist dieses Abweichen vom Vorbild aber offenbar etwas Verbotenes, es ist ein Tabu, man spricht besser nicht darüber.

Technischer Modellbau sei "technische Vorbilder so gut als möglich ins Modell umzusetzen", meint S Baum in GartenBahnen 3/2009. Er erkennt selber "einen verbissenen Hang zur Perfektion" bei einigen Modellbauern, tut sich aber auf der anderen Seite schwer mit denjenigen, die sich grössere Freiheiten herausnehmen und grosszügigere Kompromisse eingehen. Wie zum Beispiel die Freelancer.

was ist eigentlich FreeLance?

© Amalgamated Conserves

Im englischen Sprachraum ist ein Freelancer ein freier Mitarbeiter Wikipedia.de und Wikipedia.en. Ein Freelance Modeler ist ein Modellbauer, der sich nicht an einem real existierenden Vorbild orientiert, sondern seiner Fantasie, seinen Ideen folgt. Er ist etwa vergleichbar mit einem Architekten, der sein noch nicht gebautes Haus im Modell darstellt. Dabei entstehen keineswegs modellbauerische Missgeburten, denn die Ideen orientieren sich ja ihrerseits an der Realität, zum Beispiel an der grossen Eisenbahn. Der Modellbauer steht dabei in keiner Weise im Widerspruch zur Modell-Definition, denn diese lässt freie Interpretationen der Wirklichkeit durchaus zu.

Sehen Sie sich zum Beispiel einmal auf Amalgamted Conserves Tramway um und überzeugen Sie sich selber, was Freelance bedeutet: Modellieren einer in sich geschlossenen Szene im Rahmen eines Themas. Das Thema dieser Gartenbahn in Spur 1 ist der Güterverker zwischen der Konserverfabrik und den Anbauflächen, die Szenen und Modelle sind frei erfunden, sie orientieren sich aber an den unzähligen kleinen Feldbahnen in aller Welt. Ich weiss, das ist US-Verständnis! Die Gartenbahner in den USA nehmen sich manchmal sehr unbekümmert allerlei Freiheiten heraus. Die Dampfbahner Europas scheinen sich selber anders zu verstehen.

Trotzdem Spass gefunden an der Amlgamated Conserves? Hier ist eine weitere Kostprobe: Carl Brummer's Garden Railroad, ebenfalls in Spur 1 mit rund hundert Meter Geleise im Garten. Oder wenn Sie etwas Grösseres sehen wollen: Salfords Light Railway in 7¼ Zoll im Garten.

Freelance im Garten

© Internet ???

Schauen Sie sich einmal nebenstehendes Bild an! Bilder dieser Art gibt es Hunderte im Internet, es zeigt einen typischen Publikumszug einer Gartenbahn. Hinter einer vorbildgetreu gebauten Dampflok laufen die bekannten fahrenden Gartenbänke, besetzt mit realen, also nicht verkleinerten Menschen. Die Treue zum Modell hört bei diesem Gespann exakt beim Zughaken der Lok auf. Und gestatten Sie mir die Bemerkung: Das ganze ist doch reichlich Freelance, noch dazu nicht vom besten.

Das Thema ist erstaunlicherweise in GartenBahnen kaum präsent! Die Zahl der Modellbauer, die auch Personen- und Güterwagen passend zu ihren Zugfahrzeugen bauen, scheint eher bescheiden. Und einzelne lassen dann ihre Passagiere auf den Dächern von Pullman-Wagen sitzen... Wie muss man das alles nur verstehen? Ist der Dampfmodellbauer auf einem Auge blind, dass er Jahre seines Lebens dafür aufbringt, seine Modelle möglichst detailgetreu und vorbildgerecht zu bauen und dann vom Zughaken an alles zu vergessen? Oder ist vielleicht tatsächlich nur die Lok bedeutungsvoll und der Rest nur Anhänglast?

Ich habe keine Antworten auf diese Fragen, aber einige Fantasien dazu:

  • der Bau eines anspruchsvollen Objekts ist als solcher erfüllend:
  • die Lok ist gleichbedeutend mit Ansehen und Prestige im Klub:
  • das Fahren und Spielen als solche ist zweitrangig:
  • Publikumszüge sind Einnahmequellen, die Fahrgäste sind bewunderndes Publikum:
  • ...

was wählen wir als Vorbild und wie nahe an diesem Vorbild soll unser Modell sein?

Das sind also die Kernfragen und die Modell-Definition gibt uns alle Freiheiten, sie nach ganz persönlichen Vorlieben selber zu beantworten: Das Vorbild kann eine real existierende Dampf- oder Feldbahnlok sein, eine selbst entworfene Maschine ist aber genauso geeignet. Beim Durchblättern von GartenBahnen findet man immer wieder Modellbauer, die davon berichten, wie sie zu ihrem Kind gekommen sind: Da ist einer, der als Kind an einer Bahnlinie wohnte und die Züge und die Loks beobachtete - eine davon hat er Jahre später im Modell gebaut. Da ist einer, der beschäftgit sich mit Wankelmotoren und baut ins Modell einer Turbinenlok seinen Dampf-Wankelmotor ein. Und da ist einer, dessen Frau sich daran stört, dass Gartenbahner auf ihren Modellen hocken; sie möchte eine Bahn zum Drinsitzen.

Wie nahe am Vorbild wir bauen, hängt wohl ebenfalls von vielen Randbedingungen und Zufälligkeiten ab. Obwohl über diese nur selten geredet wird, zähle ich die Toleranz von Frau und Kindern und die finanziellen Möglichkeiten zu den wichtigsten. Und dann brauchen fein detaillierte Modelle viel handwerkliches Geschick und Durchhaltevermögen. Nur wenige haben all das und es werden wohl immer weniger, denn das Handwerk stirbt langsam aus. Sollen die übrigen keine Modelle mehr bauen dürfen? Oder nur unter der Bedingung, dass sie ihr Tun als Mogeln verstehen und ein angemessenes Mass an schlechtem Gewissen demonstrieren?

Worum geht es denn eigentlich? Sind Dampflokmodelle nicht Ausstellungsstücke? Prestigeobjekte? Modelle in denen der Erbauer seine Fähigkeiten demonstriert? Ist die ganze Modelldiskussion nicht Spiegelfechtereit?

Wo fängt das Modell an und wo hört es auf? Publikumszüge mit ModellLokomotiven davor? ModellLokomotiven mit unverkleinerten Lokführern auf dem Tender? ModellLokomotiven mit Sitzwagen (Gartenbänken auf Rädern) im Schlepptau? Wo ist die Ehrlichkeit, die Toleranz?

Toleranz ist gefragt

Eine Bahnlinie, die ihre Landschaft nicht schmückt, mag wohl als praktisch gelten können, aber Vollendung wird ihr der Betrachter nicht zugestehen. Der Techniker muss zuerst ein Künstler sein.
Carl Ritter von Ghega, Erbauer der Semmeringbahn; zitiert nach GartenBahnen 1/2008

 
Nach diesem ausführlichen Hin und Her über Modelle und Nähe zum Vorbild, mag dieses Zitat unpassend sein. Wie kommt ein genialer Ingenieur und Bahnbauer dazu, über Schönheit zu philosophieren? Von Ghega hat den Bau der Semmeringbahn als künstlerischen und technischen Auftrag verstanden und dasselbe können wir doch auch mit dem Modellbau tun: Modelle sollen schön und funktional sein. Und wenn Sie Schönheit etwas grosszügig verstehen, gehört dazu auch die Freude am Bauen und am Fahren der Modelle.

Gehen Sie durch Ihre gesammelten Hefte von GartenBahnen oder durchs Internet und lesen Sie nach, warum Menschen Modelle bauen: Weil es ihnen Spass macht, weil es für sie eine Herausforderung ist, weil sie stolz sind auf ihr gelungenes Werk. Weil es ein Anspruch des Publikums ist, Weiles die Kasse füllt Die darüber schreiben, leben ganz offensichtlich eine Leidenschaft, pflegen eine Liebe und suchen nach Schönheit und Vollkommenheit. Kein Ehrgeiz da? Ich glaube, da täuschen wir uns, denn es gibt wohl auch einen Ehrgeiz sich selber gegenüber. Gegenüber diesen vielen Zeugnissen wirkt der Zank darum, was ein Modell ist und was nicht reichlich überflüssig.


Mir scheint nur, dass unsere Diskussion über Nähe zum Vorbild sich auf einem sehr hohen Niveau bewegt. Soweit das Auge reicht, scheint sich kaum jemand so viele Sorgen zu diesem Thema zu machen wie Dampf-Modellbauer. Auf kleineren Spuren ist es ganz selbstverständlich, dass die Dampflok einen Elektro-Antrieb hat und Rauch und Geräusch künstlich sind. Was den Gedanken nahelegt, dass die Dampfbahner eine Art Diaspora bilden und als einzige dieses sehr hohe Ideal der umfassenden Nähe zum Vorbild hochhalten. Sie weisen selber darauf hin, dass diese Gruppe eine verschworene Gemeinde ist – das stützt wohl meine Überlegungen. Ich weiss jedefalls auf die Schnelle keine andere Gemeinde mit so hohen Ansprüchen – eine Sekte?


aus Freelance

Modellbau ohne Kompromisse gibt es nicht

Gerade die Erbauer der wunderschönen und voll funktionsfähigen Dampfloks wissen es nur zu genau: Kompromisse drängen sich immer auf, vor allem, wenn ein Modell auch betriebsfähig sein soll.

Auswege

Im Bericht über das Leben von Hannibal Wohlschlegel (GartenBahnen 4/04) steht die Bemerkung, dass sich Frau Wohlschlegel am Missverhältnis zwischen dem grossen Menschen und den kleinen Maschinen störte: «Die Statur des Mannsbilds passt nicht so recht zur niedlichen Maschine im Masstab 1:12.» Worauf das Ysebähnli am Rhy schliesslich in 7¼" realisiert wurde. Schmalspurvorbilder können dabei 1:5, Feldbahnvorbilder 1:3 verkleinert werden, es entstehen Modelle, in die man sich richtig hineinsetzen kann.

Der andere Weg liegt in der Wahl einer grösseren Spurweite, was allerdings in Europa sehr unüblich ist. --> Baierl