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2015-11-08

Der erste Winter

Als wir am 20. Oktober 1987 in den Hof fuhren, war das Haus verlassen. Die Tür war offen, die Räume leer, auch der Dachboden und die Scheune, alles war besenrein. Nur im Hof lag noch ein kleiner Haufen Gerümpel. Wir waren sprachlos: Frau N hatte Wort gehalten, ihre Habseligkeiten weggefahren und geputzt. Es musste eine gewaltige Anstrengung gewesen sein, wir hatten ja den Zustand von vor zwei Jahren noch vor Augen. Wir haben nie etwas darüber erfahren, wir waren einfach dankbar.

Winter im Kalifornien Europas

Ich erinnere mich gut an diesen warmen, trockenen Oktober 87, er verwöhnte uns nach allen Regeln der Kunst. Es sei in der Regel warm bis Weihnachten, sagte man uns, wir hatten also genug Zeit, das Haus einigermassen winterfest zu machen. Meinten wir wenigstens, denn schon der November brachte einen empfindlichen Kälteeinbruch und auch in den folgenden Jahren sollte der November den Winteranfang signalisieren. Auch wenn Sie am Polarkreis wohnen, machen Sie sich bitte keine falschen Vorstellungen vom Winter im Südwesten: Er ist kalt, regnerisch, unfreundlich. Auch hier kann manchmal eine Hochnebeldecke auf dem Gemüt liegen, auch hier kann es manchmal eiszapfenkalt sein. Natürlich ist es weniger unfreundlich als im Norden Europas, und vor allem fehlte der schwere Deckel, der zuverlässig von November bis April über dem Schweizer Mittelland liegt.

Schnee fällt nur alle paar Jahre, dann sieht die Welt aus wie ein frisch gezuckerter Gugelhopf. Und am Abend ist die Herrlichkeit bereits wieder vorbei. Wirklich dauerhaften Schnee haben wir nur zweimal erlebt, da blieb er dann eine Woche liegen. Dann steht die Welt still, niemand wagt sich mehr auf die Strasse, denn Schneeräumung oder Salzen gibt es nicht und Winterpneus hat niemand. Auf den vielen kleinen Nebenstrassen, welche die Dörfer miteinander verbinden, liegt dann eine feste und gefährliche Schneeschicht. Ich schreibe das in der Gegenwart, es ist aber eigentlich bereits Vergangenheit. Die Winter sind deutlich wärmer geworden, der Schnee zeigt sich seit einigen Jahren überhaupt nicht mehr.

Frieren

Trotzdem haben wir gefroren! Herkommend von und gewöhnt an zentralgeheizte Räume war die Umstellung doch ziemlich brutal. Das riesige Cheminée in der Wohnküche würde also unsere einzige Wärmequelle werden - kein besonders tröstlicher Gedanke. Es brannte zwar ordentlich, aber es wärmte nicht. Halt wie alle Cheminées...

In solchen Momenten kommt man fast zwangsläufig ins Grübeln: Da gibt es seit dem 18. Jahrhundert den Sparherd, in dem das Feuer eingeschlossen ist, die Wärme also viel besser genutzt wird als bei einem offenen Feuer. Der Sparherd heisst Sparherd, weil er Holz spart, weil nicht 90 Prozent der Wärme durch den Kamin abzieht. Und im Périgord wurde vor nicht allzu langer Zeit noch im Kamin gekocht! Hier war wohl die Zeit stehen geblieben?! Und dann die Einfachverglasung und die Ritzen in Türen und Fenstern überall und die fehlende Isolation der Decke zum Dach. Nochmals ein Stück Mittelalter!

Eine unserer ersten Investitionen galt darum einem Ofen. Er hat uns lange durch die Winter geholfen und steht jetzt in der Ferienwohnung - eine unserer wirklich dauerhafen Geldanlagen. Wir opferten das offene Feuer, ich schloss die grosse Öffnung des Cheminées mit einer Spanplatte (der Feuerschauer lässt grüssen!), führte das Ofenrohr hindurch und heizte ein - es war herrlich! Wir konnten sogar kochen auf diesem Ofen. Und Holz war ja mehr als genug vorhanden, wir mussten es nur auflesen. Wir haben später bei der Renovation unserer Küche das Cheminée natürlich reaktiviert und sitzen in der Übergangszeit abends gern am offenen Feuer. Aber heute natürlich mit Bodenheizungs-Unterstützung... Die Ambivalenz ist allerdings immer dabei: Etwas weniger Lagerfeuerromantik und dafür etwas mehr Wärme wäre gar keine schlechte Idee...

Natürlich blieben unsere Schlafzimmer und das Bad kalt, aber da wussten wir uns zu helfen mit elektrischen Heizmatten fürs Bett. Diese modernen Steinsäcke legt man unters Leintuch und schaltet sie eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen ein - ein wunderbar warmes Bett empfängt einen dann - Komfort pur! Und für das Bad leisteten wir uns einen Gasofen. Wir haben überlebt und wir haben eine Lektion gelernt: Wir waren unendlich verwöhnt hierhergekommen!

erster Komfort

Die fast 40 Quadratmeter grosse Wohnküche empfing uns leer bis auf einen alten Tisch, den Frau N uns zurückgelassen hatte. Ein Spülbecken war da und ein Wasserhahn - Kühlschrank und Herd nimmt man in Frankreich beim Umzug mit. Eine Küche musste her, wie sollte man denn sonst Schlemmen wie ein König in Frankreich? Wir liessen uns verführen von der Grösse des Raums: Ich plante eine Kücheninsel. Es war eine wunderbare Idee, der Herd war von zwei Seiten erreichbar, wir konnten problemlos vierhändig spielen. Aber wirklich glücklich wurden wir nicht mit dieser Konstruktion: Sie nahm viel zuviel Platz ein im Raum und blieb darum ein mehrjähriges Provisorium.

Ich baute ein Küchenmöbel aus Spanplatten, wir kauften einen Herd, einen Kühlschrank und einen ordentlichen Spülstein. Viktor hatte uns eine alte Spülmaschine mitgegeben, das höchste der Gefühle! Es konnte losgehen mit der Kocherei, wir fühlten uns schon fast wie zuhause im neuen alten Haus. Margrit hatte aus ihrem Fundus einen alten, abgewetzten Perserteppich gerettet, den wir jetzt auf dem schmutzigen Holzboden auslegten. Dann schraubte ich unsere IKEA-Möbel wieder zusammen und ersetzte die Neonröhre an der Decke durch etwas Hübscheres, Wärmeres. Diese allererste Küche wurde zu einer Art Brückenkopf für unsere weiteren Aktivitäten, sie war unser Basislager und unser Kraftort. Und im Januar, drei Monate nach unserer Ankunft, feierten wir da meinen fünfzigsten Geburtstag - genau so hatte ich es mir vorgestellt!

Frau N hatte uns auch ein Bad mit Wanne, Klo und zwei Lavabos hinterlassen, wir mussten also nicht ins kleine Scheisshäuschen unterhalb des Schweiestalls gehen. An der Wand hing ein gut funktionierender Gas-Durchlauferhitzer, wie ich ihn aus meiner Kindheit kannte. Für die winterlichen Temperaturen besorgten wir uns einen fahrbaren Gasofen, der Rest war Organisation: Vorheizen und nacheinander Duschen ist ein lösbares Logistikproblem. Zwei Gasflaschen standen hinter dem Haus und versorgten den Herd und die Chauffe Eaus mit dem nötigen Sprit.

Etwas weniger berauschend waren die Räume im ersten Stock, sie waren wirklich sehr verbraucht. Wie wir später erfuhren, hatte das Haus in den fünfziger Jahren eine grössere Renovation erlebt, und seither hatte wohl niemand mehr einen Pinsel in die Hand genommen. Aber seltsam: Sobald unsere Möbel drinstanden, waren es unsere Zimmer.

An den Winter als solchen erinnere ich mich kaum mehr, wir waren beschäftigt von früh bis spät und sanken jeden Abend todmüde und zufrieden in die Kuhle. Das Leben war wohl etwas umständlich ohne den gewohnten Komfort, aber ich glaube heute, dass uns das damals gar nicht auffiel, einfach kein Thema war. Denn erstens hatten die Martys ein Leben lang in diesem Haus gewohnt, zwei Kriege überstanden und ihre vier Kinder aufgezogen. Und zweitens hatten wir ja vor, das Haus zu renovieren und zeitgemässen Komfort einzubauen.

erste Renovationen

Über den Winter waren wir vor allem im westlichen Hausteil am Umbauen und Renovieren. Ich hatte ein Nutzungskonzept gemacht: Die westliche Hälfte des Hauses sollte eine Ferienwohnung werden, im östlichen Teil wollten wir selber wohnen. Und da bereits für den kommenden Sommer die ersten Gäste angemeldet waren, durften wir nicht trödeln. Im Erdgeschoss sollte eine Wohnküche entstehen, im ersten Stock wollten wir vom Südzimmer ein Bad abtrennen. Reichlich Beschäftigung für ein halbes Jahr! Aber wir waren voller Elan, schufteten den ganzen Tag und genossen von ganzem Herzen das Gefühl, nochmals bei Null anfangen zu können. Robinson lässt grüssen: Ein leeres Haus und zehn Hektaren Land, da gab es viel zu tun. Und wir wollten es tun, wir freuten uns darauf. Unsere Bekannten in der Schweiz sahen uns als Aussteiger. Unsere Gefühle waren genau entgegengesetzt, wir sahen uns keineswegs als Flüchtlinge. Wir hätten wohl Umsteiger gelten lassen, aber Aussteiger - niemals!

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