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2015-11-08

Bienvenue au Moyen Age

   Der Winter ist ein rechter Mann, kernfest und auf die Dauer.
   Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an und scheut nicht süss noch sauer.
   Matthias Claudius (1740 - 1815)

Was kommt Ihnen zum Mittelalter in den Sinn? Burgen mit dicken Mauern? Kalte Winter mit vor riesigen Kaminfeuern schlotternden Rittern? Kalte Betten, kaltes Wasser und null Komfort? Es muss einigermassen hart gewesen sein... So etwa waren unsere ersten Winter in Puydorat. Immerhin mit elektrischem Licht und einer warmen Dusche. Unsere Vorgänger, die Familie N, hat so vierzehn Jahre in diesem Haus verbracht. Einzige Heizmöglichkeit war der riesige Kamin in der Wohnküche, der in Kombination mit den einfach verglasten Fenstern kaum Komfort schaffen konnte. Immerhin, das Haus war nicht leer gestanden oder gar aufgegeben gewesen. Ein Minimum an Unterhalt war geleistet worden, sonst hätte es vermutlich noch verwahrloster gewirkt. Den etwas naiven Schweizern, die da aus zentralgeheizten Räumen hierher zogen, kam es fast unbewohnbar vor - wir fühlten uns wirklich wie Pioniere...

Mein Vater hatte in den zwanziger Jahren ausserhalb von Zürich ein Haus gebaut. Es hatte eine mit Koks befeuerte Zentralheizung, doppelt verglaste grosse Fenster und Badezimmer und Küche mit fliessendem warmen Wasser - was für ein unvorstellbarer Komfort! Sechzig Jahre später zogen wir in ein Haus mit grossem Kamin, kleinen, einfach verglasten Fenstern und einem Wasserhahn in der Küche: Ankunft im Mittelalter! Unser neues Heim hatte zwar riesige Räume, wie ich sie vorher noch nie gesehen hatte, aber sie bestanden im wesentlichen aus Mauern, Boden und Decke. An vielen Stellen waren die Räume feucht, die Böden faul und es tropfte durchs Dach: Es roch nach Armut und Einfachheit, nach Dritter Welt, wie man sie überall in Bildern vorgeführt bekommt. Und unsere Vorstellungen vom milden Winter im Süden waren an Weihnachten 1987 auch verdunstet.

Gesundes Gros Œuvre - vernachlässigtes Innenleben

Gros Œuvre heisst wörtlich übersetzt «grobes Werk» oder «Hauptwerk», gemeint ist der Rohbau eines Hauses. Und der war in Puydorat in Ordnung. Das Haus steht unmittelbar auf den Kalkfelsen, die Mauern sind zwischen sechzig und achzig Zentimeter dick und der Dachstuhl besteht aus reichlich dimensionierten Eichenbalken. Es war gar nicht so abwegig, an eine Burg zu denken: Alles sah währschaft und dauerhaft aus und hatte in seinen ältesten Teilen bereits mehr als zweihundert Jahre auf dem Buckel. In den fünfziger Jahren hatte es eine grössere Renovation gegeben: Die Dächer waren instand gesetzt und die grossen Fenster ausgebrochen worden. Aussen bekam es einen Verputz, was ihm wohl einen städtischen Hauch geben sollte.

Im Inneren sah es etwas anders aus. Mauern direkt auf dem Felsen mögen zwar dauerhaft sein, sie saugen allerdings das Wasser hoch und lassen die Räume feucht werden. Im Erdgeschoss war die Farbe abgestossen und die Holzböden verrottet. Ursprünglich hatte man ja auf der nackten Erde gelebt, später dann auf einem Bretterboden, der dreissig Zentimeter höher lag und die aufsteigende Feuchtigkeit etwas abhielt. Natürlich musste jede Generation diese Böden erneuern, sie konnten gar nicht dauerhaft sein. Wir stellten nichtsahnend unsere Umzugsschachteln da ab und fanden sie zwei, drei Wochen später durchfeuchtet und schimmlig.

Im Laufe unserer Restaurierungsarbeiten fanden wir dann viele weitere kleinere und grössere Mängel, meist war nicht oder schlecht gemachter Unterhalt die Ursache und nur wenige gefährdeten ernsthaft das Gros Œuvre. Am schlimmsten war Wasser, das ins Mauerwerk eindrang und es durchnässte oder Balken im Dachstuhl monatelang feucht hielt und zu Champignonplantagen führte. Ein Raum im ersten Stock war als Trocknungsraum für Salzfleisch gebraucht worden: Die Schinken wurden mit Salz umgeben in Baumwollsäcke gepackt und aufgehängt. «Wenns nicht mehr tropft, ist der Schinken durchgesalzen» hiess die Regel - der Boden war getränkt mit Salzlake, wir mussten ihn ersetzen.

Überlebensübung und Herausforerung

Andere gehen auf Safari oder klettern auf Achttausendern herum, wir hatten unser Uralthaus und bereiteten uns so gut es ging auf den Winter vor. Der schimmlige Geruch liess sich wohl mit etwas Heizen vertreiben, zum Kochen genügte am Anfang ein Camping-Rechaud und in die kalten Betten legten wir elektrische Heizmatten. Nachdem in der Wohnküche die Neonröhre durch eine Hängelampe ersetzt war, kam sogar fast so etwas wie Gemütlichkeit auf. Nein, wir liessen uns keineswegs verdriessen, verstanden das Haus im Gegenteil als Herausforderung und waren voller Zuversicht, dass wir all die Aufgaben meistern würden.

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