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20150913

Fleischwirtschaft

Beim Aufbruch in der Schweiz sprachen wir davon, uns mit Gemüse und Fleisch selber zu versorgen - jetzt war es also soweit, dass wir unsere ersten Lämmer in Fleisch verwandeln konnten. Dafür sind die Schlachthäuser da: Sie nehmen die lebenden Tiere am Vorabend der Schlachtung entgegen, am übernächsten Tag kann man das Fleisch abholen. Wir brachten also unsere ersten Lämmer dahin und überliessen sie ihrem Schicksal.

Das Schlachthaus machte einen etwas zwiespältigen Eindruck auf uns: Es wirkte alt und verbraucht, war aber aufgeräumt und blitzsauber. Schlachthäuser sind zwar öffentliche Betriebe, dem Publikum aber nicht geöffnet, denn hier wird aus lebenden Tieren Fleisch gemacht, also getötet, eine Tabuzone halt. Es war schon ein eigenartiges Erlebnis, so eine Einrichtung nicht nur zu betreten, sondern sie auch zu benutzen. Für die dort arbeitenden Männer allerdings war es einfach ihr Job, sie waren uns Anfängern gegenüber geduldig und freundlich, lachten und halfen, wenn es nötig war. Und wir brauchten Unterstützung in vielen Details: Wo und wann mussten die Tiere eingeliefert werden? Wann konnte das Fleisch geholt werden? Was würde es kosten und wo war zu bezahlen?

Die ersten Jahre

Mehrere Jahre lang brachten wir nun unsere Tiere mit dem Auto ins Schlachthaus von Bergerac. Schafe auf der Strasse zu transportieren ist nicht ganz einfach, und wir waren einmal mehr froh, dass wir keine Kühe hatten. Ein Schaf passt zur Not in einen Kofferraum, was man mit Kühen nur schwer zurande bringt. Schafe sollten aber stehend transportiert werden. Wenn man sie mit zusammengebundenen Beinen in den Kofferraum legt, können sie ersticken: Der Pansen kann so gegen die Lunge drücken, dass sie keine Luft mehr bekommen. Trotzdem praktizierten die Bauern immer wieder diese quälerische Transportart, sie wussten es wohl nicht besser. Nun sind Schafe aber diffuse Kotabgeber, sie pinkeln und kacken wo sie stehen. Alle Wiederkäuer benehmen sich so: Sie bauen keine Nester, sondern ziehen lebenslang über die Weiden: Vorne frisst es und hinten fallen die Pillen heraus. Solche Tiere kann man auch durch Domestikation nicht an eine Toilette, also einen Kotplatz gewöhnen. Die Folge war natürlich, dass unser Citroën nach der ersten Exkursion mehr als reinigungsbedürftig war. Es war uns eine Lehre, es ist uns nie wieder passiert!

Wir wussten, dass wir nicht ein Lamm allein abgeben sollten, Herdentiere können in Panik geraten, wenn sie isoliert werden. Sie waren also immer zu zweit oder zu dritt und hatten Gesellschaft. Trotzdem hatten wir ein schlechtes Gewissen, sie an einem fremden Ort im Stich zu lassen. Als wir dann das Fleisch abholten, erhielten wir einen Waagschein mit Datum und Uhrzeit: Sie waren ersten kurz vor Mittag dran, zuest waren alle anderen Tiere geschlachtet worden. Sie hatten also den ganzen Vormittag lang miterlebt, was nebenan geschah. Nun wissen wir ja nicht, wie Tiere so eine Situation wahrnehmen und verarbeiten, nicht einmal ob sie sich ängstigen wissen wir sicher. Aber die Sache gab unserem schlechten Gewissen nochmals Nahrung, wir hatten uns nicht fair verhalten. Aber was sollten wir tun? Das Fleisch erhielten wir als carcasse, also als ganzes Tier, dazu den Kopf und an einem Haken die Innereien: Pansen, Lunge, Herz, Leber und so weiter. Da wir auch in der Schweiz manchmal ganze Lämmer gekauft hatten, wusste ich genau, wie sie fachgerecht zerlegt werden mussten. Wir werkelten also mit Messer und Säge solange herum, bis alles tiefkühlgerecht verpackt war und Abfälle und Knochen in der Hundesuppe brodelten. Dafür braucht ein geübter Metzger vielleicht eine Stunde, wir hatten es in dreien geschafft. Und waren ausserdem total erschöpft. Da aber Übung den Meister macht, ging es bald schneller. Und nach getaner Arbeit winkte ja ein lukullisches Mal aus Nieren und Leber!

Aus der Schweiz wussten wir, dass die Hoden als Delikatesse gelten und in einschlägigen Restaurants als Alpeneier verkauft werden, an Männer natürlich, sie sollen die Potenz verbessern... Schon bei den ersten Lämmern fiel uns auf, dass die testicules bei den Innereien fehlten, wir hätten doch so gern diese Spezialtiät auch einmal probiert. Ich nahm also meinen Mut zusammen und fragte nach. Ja, die Boules gehörten den Männern des Schlachthauses, wurde ich belehrt, ich solle doch einmal dort nachfragen, sie seien gerade beim Kaffee. In einem schmucklosen Verschlag fand ich sie dann in ihren weissen Uniformen, sie lachten über meinen Wunsch und leerten einen Plasticsack auf den Tisch: Servez-vous! bedienen Sie sich. Ich packte mir einiges ein und sie wünschten mir bon appétit! Ich habe die Kugeln dann am Abend an einer Rahmsauce mit frischer Petersilie zubereitet, sie waren herrlich! Sie haben einen sehr feinen Eigengeschmack, im Biss gleichen Sie dem Ris-de-Veau, dem Kalbsbries, und sie machen, was die Kalbsmilken nimmer tun: Ach ja, ich wiederhole mich.

Das Fleisch von zwanzig oder noch mehr Lämmern konnten wir beim besten Willen nicht alleine essen, wir brauchten also Kunden. Ich machte also, was ich schon als Kind tat, wenn unsere Küche im Herbst so voller Zwetschgen war, dass man kaum mehr gehen konnte: Ich ging zu den Nachbarn und versuchte lozuwerden, was wir anzubieten hatten. Wir merkten schnell, dass wir beide keine Verkäufer sind: Wir empfanden diese Runden als Bittgänge, nahmen die Absagen persönlich und liessen uns den Mut nehmen. Aber nach und nach kam doch so etwas wie ein kleiner Handel in Gang. Die Frauen sahen die Qualität des Fleisches, gaben den Geheimtipp weiter oder sagten uns, wir sollten doch da oder dort noch anrufen. Und als wir gegen 2006 die Schafhaltung schliesslich aufgaben, war die Nachfrage grösser als die Produktion.

Nicht alle unsere Kunden konnten ein ganzes Lamm fachgerecht zerteilen. Einzelne kamen zu uns in die Küche und liessen sich die Arbeit zeigen, für andere packten wir alles tiefkühlgerecht ab, sodass wir zu einem ganz einträglichen Nebenverdienst kamen. Und von allen Kunden kamen Zufriedenheitsbotschaften: Wir sollten unbedingt anrufen, wenn wieder Schlachtzeit sei. Manchmal wurde der Abholtermin zu einem Apéritif, wir mussten ein Glas Monbazillac spendieren und uns das Neuste aus den Familien erzählen lassen, was uns nicht immer nur Spass machte. Und manchmal brachten die Abholer als Dankschön selber eine Flasche Wein mit.

Andere Länder, andere Sitten

Eines Tages stand ein dunkelhäutiger Mann in unserem Hof und fragte nach einem Lamm, das er für das muslimische Opferfest brauchen würde. Dieses wichtigste muslimische Fest erinnert an den Propheten Abraham und seine Opferbereitschaft Allah gegenüber. Am Fest wird von jeder Familie ein Lamm rituell geschlachtet und das Fleisch mit den Armen geteilt. Bei einer rituellen Schlachtung durch den Imam wird das Lamm geschächtet, was ja unter Christen als Tierquälerei gilt und nicht erlaubt ist. Wir wussten aber, dass die Schächter sehr professionell arbeiten. Ausserdem stand es uns kaum zu, und es uns auch kaum über die Bräuche unserer Nachbarn zu richten. Der Mann holte also sein Lamm, ohne gross über den Preis zu debattieren und kam im Jahr darauf wieder, diesmal mit seinem Bruder. Nun muss man wissen, dass Bergerac ein grösseres Marokkaner-Quartier hat, in dem sich solche Tips natürlich schnell verbreiten. Und offenbar hatte es ihnen ja auch geschmeckt.

Der Kauf des Opferlamms ist Männersache. Die Frau unseres Kunden blieb denn auch im Auto sitzen, verschleiert natürlich. Als nun aber Margrit als die Verkäuferin auftrat, gab es schon einige Verwirrung, er hatte wohl nicht damit gerechnet, mit einer Frau verhandeln zu müssen. Margrit bat mich um Unterstützung, aber ausser dabeizustehen hatte ich wirklich nichts zu tun: Die beiden kamen bestens zurecht und wurden schnell handelseinig. Ein Jahr später kam die Frau in den Hof und stillte ihre Neugier, immer noch mit Kopftuch, und wieder ein Jahr später kam sie europäisch gekleidet. Er brauchte sie auch, sie musste nämlich den Scheck ausfüllen, er konnte offensichtlich nicht schreiben... Dieser liebenswürdigen und offenen Frau haben wir jahrelang unsere Wolle gegeben und sie hat daraus Sofakissen für ihre ganze weitläufige Verwandtschaft gemacht. Bis sie aufhören musste, weil alle mit Kissen versorgt waren.

Die Geschäfte mit den Marokkanern fanden schliesslich durch eine Ungeschicklichkeit Margrits ein jähes Ende. Sie hatte alles für den Verkauf vorbereitet und auch die Lämmer gewogen, was bisher zu keinen Diskussionen Anlass gegeben hatte. Diesmal gab sich aber einer der Käufer nicht zufrieden, er wollte, dass sein Lamm vor seinen Augen gewogen wurde. Und es war zwei Kilo leichter, als Margrit gesagt hatte - das Vertrauen war dahin. Der Fehler lag eindeutig auf unserer Seite. Natürlich schwankt das Gewicht eines Lamms im Laufe des Tages beträchtlich. Am Abend, wenn die Tiere mit vollem Bauch von der Weide kommen sind sie natürlich schwerer als in nüchternem Zustand am Morgen. Bingo!

Auf dem Höhepunkt unserer Produktion hatten wir so viele Lämmer, dass wir sie unmöglich selber vermarkten konnten. War gaben dann die überzähligen an die Schafhalter-Kooperative, welche sie bei uns abholte und uns dann den Scheck schickte. Für uns war das eine praktische Möglichkeit, denn sie ersparte uns sehr viel Arbeit, andrerseits waren die Preise meist schlecht, weil unsere Lämmer nicht den Kriterien des Schlachthauses entsprachen: In der Regel waren sie zu wenig fett über dem Rücken oder zu klein. Diese Beurteilung macht der Fleischschauer, er vergibt eine von fünf Klassen und so wird dann auch abgerechnet: Karkassengewicht x Preis in der Klasse. Wollte man fettere und fleischigere Tiere haben, musste man sie zwei Monate vor der Schlachtung einsperren und mit Kraftfutter traktieren. Unsere aber liefen bis zum letzten Tag auf der Wiese herum und das hält bekanntermassen Mensch und Tier schlank und rank. Und gesund!

selber Schlachten

Das Schlachthaus machte uns im Lauf der Zeit zunehmend Mühe. Nicht dass es nicht sauber oder zu teuer gewesen wäre, einfach die Vorstellung, dass unsere Tiere in dieser Umgebung die Nacht und den ganzen Vormittag auf ihren Tod warten mussten, setzte uns zu. Wieviel freundlicher wäre es doch, wenn wir sie am Morgen aus unserem Stall holen und schnell töten könnten. Sie hätten diese Warterei nicht, diese fremden Gerüche und das Geschrei der Tiere. Wir überlegten lange und ich musste mich natürlich fragen, ob ich auch in der Lage wäre, ein Lamm zu töten. Eine Fliege totschlagen oder einen Salat abschneiden ist auch töten, aber hier ging es ja um warmblütige Tiere, die uns gefühlsmässig irgendwie näher stehen als Fliegen und Salate. Auch war nicht klar, ob Hausschlachtungen von Schafen überhaupt noch zugelassen waren. Da wir uns mit unseren zwanzig Schafen sowieso in einer Grauzone befanden, dachten wir, diese Frage nicht weiter zu verfolgen. Was wir aber immer noch nicht wussten war, wie man denn Lämmer und Schafe tötet. Wie bei vielen anderen praktischen Dingen half uns Viktor: Er schenkte uns einen Bolzenschussapparat, mit dem Tiere betäubt werden können.

So ein Schussapparat besteht aus einem Rohr, in dem ein Bolzen beweglich auf- und abläuft. Eine Platzpatrone schiesst den Bolzen nach vorn, er dringt in den Schädel des Tieres ein und eine Feder zieht ihn wieder zurück. Die Tiere sind betäubt und können schmerzlos ausbluten. Das Gerät ist genial einfach zu handhaben und braucht kaum Wartung. Aber es braucht diese kleinen Platzpatronen, wie sie auch in Flobert-Gewehren verfeuert werden können. Und wegen dieser Platzpatronen blieb das Paket, das uns Viktor geschickt hatte, an der Grenze hängen: Es fehlte eine Bewilligung für die Einfuhr von Explosivstoffen. Hinterher lachten wir natürlich über dieses Wiehern des Amtsschimmels, im Moment jedoch waren wir total ausgezählt. Was nun? Bewilligung einholen, Formulare ausfüllen, mit dem Ministerium verhandeln - Schlimmeres hätte uns kaum passieren können.

«Von der Wiege bis zur Bahre schreibt der Schweizer Formulare» reimte Bö im Nebelspalter einmal. Selbstverständlich gab es auch für unseren Fall Formulare, - Frankreich unterhält schliesslich einen eigenen Verlag für diese Papiere: CERFA - die wir mit Hilfe unserer Nachbarn auch erfolgreich ausfüllen und der Douane nach Paris schicken konnten. Und siehe da, bald kam eine positive Antwort, die wir wiederum der Douane in Mulhouse schickten, die dann ihrerseits unsere Explosifs freigab. Und das alles für fünfzig blinde Patronen - Käpsli nennen wir sie in Zürich. Demokratie schafft Arbeit - wie wahr! Gekostet hat es uns übrigens nichts.

Wir haben am Ausgang des Stalls einen Galgen montiert, an dem wir die Tiere aufziehen und enthäuten konnten. Das Fell war ohne Wert, es verschwand in einem Abfallsack, denn das Gerben wäre viel zu teuer gewesen und selber machen konnten wir es nicht. Dann wurde das Tier aufgeschnitten, die Innereien herausgeholt, die Därme zum Abfall getan. Ein Lamm von 25 Kilo Lebendgewicht gab etwa 11 Kilo Fleischgewicht, eine Ausbeute von rund 45%. Kopf und Innereien bildeten den sogenannten cinquième part, den fünften Viertel. Er wurde beim Preis nicht mitgerechnet, gehörte aber dazu. Allerdings waren viele unserer Kunden nur an der Leber interessiert, sie hatten wohl keine Hunde. Das Blut kochten wir für unsere Hunde zu einer Art Blutwürsten, die sie mit grossem Appetit verschlangen. Auch der Pansen musste aus hygienischen Gründen gekocht werden, er bildete über Jahre einen wichtigen Bestandteil des Hundefutters.

Das Fleisch wird in Frankreich sehr unsorgfältig aufbereitet, wir waren da aus der Schweiz an ganz andere Ansprüche gewöhnt. Wir hatten uns oft genug über die lieblose Art des Parierens geärgert, ich wollte es anders machen, eben wie ich es gelernt hatte. Unsere Kundinnen schienen es zu schätzen, auch wenn sie nicht viele Worte machten darüber verloren.

Conserverie

Ein Lamm besteht nicht nur aus Filet und Gigot, es gibt auch weniger edle Stücke, etwa die Schulter, die Brust oder den Hals. Der Normalkonsument macht sich bei seinem Einkauf wohl kaum Gedanken darüber, aus wievielen Teilen so ein Tier besteht und wie unterschiedlich diese Teile in der Küche vewendet werden müssen. Die edelsten Teile sind zum Kurzbraten geeigent, sogenanntes minute-Fleisch, die nächste Kategorie benötigt längere Kochzeit und ein dritter Teil wird zu Würsten verarbeitet. Aber diese Unterscheidungen gelten nur eim Einkauf an der Bank, wir hingegen hatten das ganze Tier vor uns.

Gigot, Cotelettes und Epaule gehören zu den bessern Teilen, den Rest mussten wir also zu Ragout und Würsten verarbeiten. Ich darf wirklich sagen, dass mir diese Aufgabe nie lanweilig wurde. Die Ideen gingen mir nie aus, es gab ja so viele Möglichkeiten von der Paté bis zum Fumé, vom Sèché bis zum Civet. Ich musste mich nur von den Alten inspirieren lassen. Natürlich gelang nicht alles auf Anhieb, schliesslich fehlte mir eine tragfähige Ausbildung zum Charcutier. Aber Experimentierfreudigkeit hilft ja oft weiter, manchmal natürlich mit Lehrgeld.

Was in deutschen Landen als Fleischkäse bezeichnet wird, heisst hier paté und ist ein Gemenge von Fleisch, Fett, Salz und Gewürzen, eingekocht in einem Glas oder einer Dose.

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