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2015-09-20

Puydorat

Zwei Wochen Ferien, Haussuche, unterwegs mit einem Wohmobil VW-LT mit allem Komfort. In Périgueux hatten wir die Agences abgeklappert, uns die Nasen an den Schaufenstern plattgedückt, nichts gefiel uns: Zu abegelegen, zu klein, zu teuer - na ja, man findet ja immer einen Grund. Und dann: Puydorat! Der Mann hinter dem Tresen war nicht sonderlich bewegt von unserer Nachfrage, das Angebot war offensichtlich eine Leiche, schon viel zu lange im Schaufenster, zweimal der Preis gesenkt und immer noch nicht verkauft. Wir entlockten ihm die Adresse, was gar nicht so einfach war, weil er uns ja dahin führen sollte von wegen der Provision, und fuhren hin. Ein mürrischer Bauer wies uns den Weg - es war Roland Rigal, unser späterer Nachbar - und da waren wir.

Begegnung mit Armut und Traurigkeit

Ich erinnere mich an die Einfahrt in den Hof, wie wenn es gestern gewesen wäre: Vier Schäferhunde an der Kette, ein ältere Frau in einem langen, schwarzen Kleid: Mme N Nach kurzer, etwas holperiger Begrüssung en français meinte sie, wir könnten doch deutsch sprechen, sie stamme aus Deutschland und wohne hier seit einigen Jahren. Sie führte uns durchs Haus und zeigte uns die nähere Umgebung. Sie wartete seit über einem Jahr auf einen Interessenten.

Haus und Hof waren in unvorstellbarer Unordnung, wir hatten noch nie so etwas gesehen. In seinem dunklen Grau wirkte das Haus trist und abweisend, der Hof war ungepflegt, die Hunde nicht einladend. Wir traten in eine dunkle Küche mit einem mächtigen Cheminée, einem langen Tisch und zwei Bänken. An der Decke brannte eine Neonröhre, eine Treppe führte nach oben zu den Chambres. Alles wirkte ärmlich und abgenutzt, die Wände hatten jahrelang keinen Pinsel gesehen. Diese Wohnküche war offenbar der Lebensraum von Frau N und der einzige heizbare Raum im Haus. Ein Spülstein mit Kaltwasserhahn, ein Gasherd, ein Kühlschrank und ein Arbeitstischchen bildeten die Kücheneinrichtung. Das Haus war weitgehend im Originalzustand bewohnt worden, Kraft und Geld für eine ordentliche Renovation hatten gefehlt. Ein Zimmer hatte sich Frau N als Schlafzimmer renoviert, mit Spanntapeten und orangem Spannteppich ausgestattet strahlte es einen Hauch von Luxus aus. In einem Zimmer hatte sie ein Bad und eine Küche abgetrennt, das Bad war benutzbar, die Küche unfertig. In den Zimmern dann ungemachte Betten, Kleider und Schuhe lagen verstreut auf dem Boden, überall sah es aus, wie wenn gleich jemand zurückkommen würde. Ehemann, Kinder? wir wussten es nicht. Eine zweite schwarz gekleidete Frau geisterte herum: ihre jüngste Tochter. Es war klar: Wir waren mitten in Armut und Traurigkeit geplatzt!

Eine berührende Geschichte

Ihre Geschichte war schnell erzählt: Sie hatte mit ihrem Mann und vier schulpflichtigen Kindern den Sprung nach Frankreich gewagt. Der Mann war aber bald verschwunden, die drei älteren Kinder gingen zurück nach Deutschland, sobald es möglich wurde, und sie blieb mit ihrer jüngsten Tochter zurück, gestrandet gewissermassen. Wenn es Geld gab, so steckte es im Haus, aber ohne Käufer war es blockiert. Das Haus war zu einem wesentlich höheren Preis bei verschiedenen Agences ein Jahr lang im Fenster gehangen, ohne irgendwelche Interessenten anzulocken. Unterdessen war es billiger geworden. Aber wir waren noch ganz am Anfang unserer Suche, es war unmöglich, eine Zusage zu machen, wir waren nicht soweit.

Als wir schliesslich wegfuhren, waren wir wie vor den Kopf geschlagen. Das Haus und die Geschichten vermischten sich in unseren Köpfen, im Grunde hatten wir nichts begriffen und nichts verstanden: Weder die verlorenen Hoffungen, noch die Not der beiden Frauen wurden uns verständlich, die Begegnung war ein Schock! Es sollte nochmals ein Jahr dauern, bis wir zurückkehrten. Aus irgend einem Grund blieb ich aber mit Frau N in losem Briefkontakt und erfuhr darum auch, dass sich niemand für das Haus interessierte. Inzwischen ist mir schon klar, dass so ein Objekt nur schwer verkäuflich ist - wir fragen uns heute selber, wie wir es wohl einmal loswerden könnten...

Das Traumobjekt

Das Haus war im Grunde genau das, was wir suchten: Ein ehemaliges Bauernhaus, zwanzig Meter lang, zweistöckig, mit sieben grossen Räumen. In seiner Substanz sehr gut erhalten und kaum restauriert, also ohne meergrüne Kacheln im Badezimmer und herausgeschnittene Balken im Dachstuhl. Es war ohne jeden Komfort, aber bewohnbar, wenn man bescheiden und anpassungsfähig war. Die Lage war schlicht traumhaft: Nach Süden ausgerichtet und mit herrlicher Aussicht. Dabei waren zehn Hektaren Umschwung, halb Wald, halb Wiese, genug für zwei Kühe oder zwanzig Schafe. Es lag fünfzehn Autominuten vom nächsten Kleinstädtchen Bergerac entfernt an einer wichtigen Durchgangsstrasse, aber ohne deren Lärm ertragen zu müssen.

Nur eben, all das sahen wir in dem Moment nicht... Schwierig zu sagen, was da wohl mit einem passiert. Da ist ein Haus mit all seiner Hardware: Gebäuden, Bäumen, Umschwung, Aussicht und vielleicht garniert mit den Ideen zu seiner Veränderung. Und da ist die Geschichte der Menschen, die da lange lebten und jetzt aktuell leben, die hoffen und leiden und warten, dass endlich einer kommt und sie vom Haus befreit, das längst eine Kugel am Bein geworden ist. Dornröschen?

Und dann kamen wir ein Jahr und zwei Dutzend Häuser später zurück und wussten: Das ist es! Nach Abwägen aller Fürs und Widers bekam es mit Abstand die meisten Punkte. Ein Brief zeigte: Frau N sass immer noch in ihrer Küche und wartete auf einen Interessenten. Also fuhr ich in den Weihnachtsferien 1986 nochmals dahin, besprach mich mit ihr, machte mit ihr einen langen Rundgang durch die nebelverhangenen Felder und Wälder von Puydorat und - sagte zu. Im April fuhren wir dann zusammen nochmals hin, wohnten einige Tage im Haus und gingen zum Notar. Im Oktober wollten wir einziehen. Frau N versprach, das Haus bis dann zu leeren und zu putzen. Was sie auch tat! Danke!

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