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20150918

Unsere Schafe

Von Margrits Wunsch, in Puydorat Tiere zu halten, habe ich bereits erzählt. Aber was für Tiere sollten es denn sein? Enten, Hühner, Pfauen, Hunde, Katzen, also eher Kleinvieh bis vielleicht zwanzig Kilo Gewicht? Oder etwas grösser, also Ziegen, Schafe, Schweine, Damhirsche oder sogar eine Kuh oder zwei? Unser Unwissen über die Nutztierhaltung machte uns ratlos, wo sollten wir nur beginnen uns zu informieren? Nun ist man in dieser Situation ja nicht ganz allein, denn viele andere haben auch so naiv wie wir angefangen, jede Menge Fehler gemacht und darüber auch mehr oder weniger hilfreiche Bücher geschrieben.

In diesen Büchern steht zum Beispiel, dass eine Hektare Wiesland eine Kuh ernährt. Eine Kuh ist eine Grossvieheinheit (GVE), ihr entspricht ein Pferd oder 10 Schafe oder 320 Legehennen. Auf unseren fünf Hektaren könnten also fünf GVE satt werden, rein rechnerisch also fünf Kühe oder Pferde, 50 Schafe oder 1600 Legehennen. Rein rechnerisch natürlich, denn unsere Wiesen sind nur zum Teil genügend ertragreich, die Zahlen sind also nicht realistisch. Aber immerhin konnten wir jetzt etwas konkreter diskutieren, denn vorsichtig geschätzt würde es für zwei bis drei Kühe oder dreissig Schafe reichen. Diese wunderbaren, rehbraunen Limousin-Kühe gefielen Margrit, warum also nicht?

Wir fuhren also nach Périgueux zur jährlichen Messe. An dem Tag war gerade Zuchtbullen-Prämierung, also nix wie hin zur Bullenausstellung! Und da standen sie dann mit ihren riesigen Köpfen und schauten uns aus stumpfsinnigen Augen an. Und gross waren sie und schwer und gefährlich sahen sie aus... Die Sache war nach wenigen Minuten klar: Nein, nichts so Grosses, wir brauchten etwas Handlicheres! Also doch Schafe oder Ziegen. Und mit Ziegen hatten wir ja bereits etwas Erfahrung: In der Schweiz hatte der Nachbar einige Zwergziegen, die wir regelmässig aus unserem Gemüsegarten scheuchen mussten - nur sehr bedingt eine gute Erfahrung. Blieben die Schafe übrig.

Unsere Vorgängerin hatte einige Schafe gehalten, es könnte also funktionieren im bestehenden Stall und mit den Weiden. Es stellte sich allerdings heraus, dass die Dame nie ausgemistet hatte: Im Stall lag eine steinharte Mistmatratze von einem halben Meter Dicke. Die herauszuholen war Sträflingsarbeit, weil wir alles von Hand machen mussten. Neben dieser bodybildenden Schwerarbeit lasen wir Bücher: «Ein Schaf halten», «Schafkrankheiten» und ähnliche Titel. Und langsam wurden wir ungeduldig, wir wollten anfangen.

Zu der Zeit gabs noch den P'tit Bergeracois als Gratisanzeiger in Papierform, da konnte man von Autos bis Zebras alles finden, wir fanden da unsere ersten Schafe. Ein Weinbauer in Prigonrieux bot ein halbes Dutzend Mutterschafe an, wir fuhren hin. Es wurde eine traurige Veranstaltung: Die Schafe gehörten der Frau des Hauses und sie wollte sie gar nicht weggeben. Die Familie wollte aber en retraite gehen und das Weingut verkaufen. Die Dame weinte und wir einigten uns schliesslich darauf, dass wir bis auf weiteres nur einen Teil der Herde übernahmen. Wie wir erst später merkten, war das auch für uns ein prima Arrangement, konnten wir doch mit vier Tieren sanft beginnen und später mit etwas mehr Übung die Herde vergrössern.

Vier Schafe halten

Die vier Schafdamen erwiesen sich als sehr pflegeleicht, wir merkten aber auch schnell, dass uns ausser Erfahrung auch viel anderes fehlte: Heu und Stroh, Zäune, Werkzeug zum Heuen und zum Pflegen der Schafe. Der Stall war zwar bewohnbar, aber unpraktisch, der Heuboden viel zu klein, es fehlte Wasser und elektrisches Licht und es fehlten uns natürlich auch die Werkzeuge für die Heuernte. Am Anfang waren wir darum eher Handwerker als Schafhalter - glücklicherweise sind Schafe wirklich genügsam und für vier Tiere war ja mehr als genug Weide da. Bald holten wir dann die restlichen Tiere und mit ihnen ein rabenschwarzes Lämmlein mit einem weissen Punkt auf dem Hintern, das wir Theodor tauften. Es musste mit der Flasche gefüttert werden - Margrit war glücklich, sie hatte ihre Tiere! Schafe werden grob in drei Rassen eingeteilt: Milch-, Woll- und Fleischschafe, sowie Mischrassen. Es war schnell klar: Was wir uns da angeschafft hatten, waren im Grund Fleischschafe, von einzelnen konnte auch die Wolle gebraucht werden. Als wir später einen Bock suchten, meinte der Bauer lapidar, sein Bock sei Tout Race, also alles und nichts, oder eben nicht in eine Rasse einzuordnen. Ja, das war es wohl: Unsere Schafe waren eine fröhliche Mischung auf der Grundlage des traditionellen, französischen Berrichon-Schafs. Es sind verhältnismässig grossse und behäbige Tiere ohne Hörner und ohne Pelz am Kopf, sie werfen einmal im Jahr und haben in der Regel ein Lamm.

Margrit hat sich intensiv mit Pflege und Fütterung der Tiere auseinandergesetzt, Bücher gelesen und andere Schafhalter ausgefragt. Trotz all dieser Vorbereitung waren wir ziemlich aus dem Häuschen, als eines der Schafe anfing zu hinken. Im Lehrbuch über die Schafkrankheiten stand: Klauenfäule als Folge ungenügend gepflegter Füsse - also etwas Unappetitliches... Im Buch wurde aber genau beschrieben, wie man die Klauen richtig schneidet, die Füsse reinigt und desinfiziert. Als es nicht besser werden wollte, nähte Margrit einen Lederschuh, den das Tier zwei, drei Monate lang tragen musste. Es war uns eine Lehre: Es blieb der einzige so schwere Fall, denn jetzt wussten wir, wie wichtig die Klauenpflege ist. Learning by doing heisst das wohl auf deutsch.

Böcke

Ohne Männlein keine Kinderlein - wir brauchten natürlich auch einen Bock, wenn wir Fleisch produzieren und züchten wollten. Männliche Schafe nehmen schneller zu als weibliche, sie fangen ausserdem nach einem guten Jahr an, sich gegenseitig zu bekämpfen - sie sind also die ersten, die man schlachtet. Wenn man sie behält, müssen sie bald verkauft oder ihr Vorgänger verkauft oder getötet werden. Zur Zucht geeignete Böcke im Alter von 12 bis 15 Monaten stehen darum immer wieder zum Verkauf und wieder führte uns Le P'tit Bergeracois zu den Bauern. Über den Preis wurde in der Regel nicht gross verhandelt - es gab einen Festpreis oder der Bock wurde gewogen.

Über die Rasse des Bocks kann man die Entwicklung der Herde beeinflussen, es lohnt sich darum, darüber vor dem Kauf nachzudenken. Andrerseits ist es für Hobbyzüchter wie uns unwichtig, ob er reinrassig und im Herdenbuch eingetragen ist oder nicht.

Der erste Herr kam von Monbazillac, von einem freundlichen alten Bauern, der seine Landwirtschaft weitgehend aufgegeben und nur die Schafe behalten hatte. Der Bock war im Grunde ein Berrichon, allerdings mit allerhand Einsprengseln, ein grosses, schweres Tier im besten Mannesalter. Der Bauer bezeichnete ihn als Toutes Races, den Ausdruck übernahmen wir später für alle unsere Schafe. Er kam heil nach Puydorat, die Damen im Stall schienen den Herrn zu erwarten, es gab jedenfalls nicht die geringste Aggressivität, sondern viel neugieriges Beschnüffeln. Im Sommer wurden die Schafdamen nacheinander brünstig und er war eine Zeit lang so ausgiebig beschäftigt, dass er kaum zum Fressen kam.

Für den zweiten hatte sich Margrit etwas besonderes ausgedacht, es sollte ein INRA401 sein. INRA ist das Institut National de la Recherche Agricole, welches landesweit Forschungsstellen zu spezifischen Fragen der Landwirtschaft bearbeitet. INRA401 ist eine künstliche Rasse, die ab etwa 1960 durch Kreuzung von Charolais- mit Romanov-Schafen entwickelt wurde. Romanov-Schafe sind schwarz, schmal und feingliedrig und zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie zweimal pro Jahr trächtig werden und häufig Zwillinge zur Welt bringen. Man hoffte, auf diese Weise die Produktivität und damit den Ertrag der Schafhaltung zu steigern. Ganz in unserer Nähe fanden wir einen Züchter, der uns einen Bock abgeben wollte, der wohl nicht ganz den Anforderungen der Herdenbuch-Kommission entsprach - ein sans papiers. Es war ein junges, ziemlich feingliederiges Tier. Vom Charolais hatte er den weisssen Körper, vom Romanov den schwarzen Kopf.

Den dritten holten wir in der Nähe von Trémolat und wieder hatte uns ein Inserat im P'tit Bergeracois geführt. Es war ein mächtiges, breites Tier der Rasse Suffolk, Körper hell braun, Kopf und Beine schwarz. Es war fraglos der schönste unserer vier Böcke, er war aber auch etwas unberechenbar und hat uns im Lauf der Zeit ein paar Mal in den Mist gestossen.

Der vierte schliesslich war ein reinrassiger Charolais, ebenfalls ein sans papiers von einer Züchterin in Pont-Saint-Mamet. Sans papiers bedeutet hier, dass er von der Züchtung ausgeschlossen ist, weil er nicht in allen Merkmalen den Vorgaben entspricht. Unser Bock habe einen zu weiblichen Kopf, befand die Kommission - total lächerlich natürlich, für die Zucht reinrsssiger Nachkommen war er damit allerdings nicht mehr zu gebrauchen. Wir bekamen ihn gewissermassen zum Ausverkaufspreis, er erledigte aber seine Aufgabe - auch mit dem falschen Kopf.

Aber warum denn vier verschiedene Böcke? Dahinter stand Margrits Neugier, sie wollte wissen, ob dieses Gerede rund um die Zwillingsgeburten und die damit erzielte Steigerung der Produktion auch Hand und Fuss hatte. Um es kurz zu machen: Nein. Wir jedenfalls waren vom INRA401 eher enttäuscht und er wurde nicht alt bei uns. Die Rechnung ist verblüffend einfach und gleicht der Quadratur des Kreises: Es stimmt, dass Schafe mit Romanov-Blut fleissiger gebären und gern Zwillinge haben. Andrerseits ist über die Jahre das Gesamtgewicht dieser Lämmer schliesslich nicht höher als das der klassischen Berrichons. Es sind wohl mehr Lämmer, aber sie sind kleiner und feiner im Körperbau. Ausserdem sind die Mütter früher verbraucht. Wir haben über Jahre eine Schafstatistik geführt, wir wollten es wirklich wissen...

zwanzig Mutterschafe + Bock

Schöne Lämmer behielten wird, die übrigen kamen ins Schlachthaus, so wurde über die Jahre die Herde grösser. Bei 20 Tieren merkten wir, dass die Grenze unserer Wiesen erreicht war, denn im Frühling waren es ja zusammen mit den Lämmern immer 40 Esser, die satt werden wollten. Die Lämmer kamen im Dezember zur Welt und gingen in dem Moment auf die Weide, wo das Gras wieder anfing zu wachsen. Und weil agneaux d'herbe nicht älter als sechs Monate sein sollten, waren sie mit Beginn der sommerlichen Trockenzeit bereits im Schlachthaus. Während dieser sechs Monate war der Stall allerdings sehr voll.

Wir haben mehrere Versuche gemacht mit einer Koppel im Freien, wo wir die Tiere über Nacht einsperren konnten. Aber ausser Aufregung und zusätzlicher Arbeit haben diese Gehege nichts gebracht. Immer wieder verhedderten sich die Tiere in der Umzäunung und mussten dann bis zum Morgen auf Erlösung warten. Einmal fanden wir am Morgen den Hund eines Nachbarn im Gehege, total friedlich und unaufgeregt, er bewachte einfach unsere Böcklein. Streunende Hunde sind die grösste Gefahr für die Schafe, meist sind es die Hunde der Jäger, die auf der Pirsch verloren gehen und den Heimweg nicht mehr finden. Nein, Übernachten ausserhalb des Stalls war definitiv keine gute Idee!

Es ging aber sehr gut auch ohne Aussenstall, denn Schafe sind wirklich friedliche Herdentiere, die nichts mehr fürchten, als den Anschluss untereinander zu verlieren. Aus eigenem Antrieb suchten sie bei einbrechender Dunkelheit selber den Stall auf und das Gedränge schien ihnen durchaus zu behagen. Viele Menschen fühlen sich in einem überfüllen Bus bald bedrängt und vermeiden wenn möglich diese Situation. Daraus zu schliessen, Schafe würden ähnlich empfinden, muss also eine Projektion sein...

Auf der Weide blieben sie auch ohne Einzäunung gern beisammen. Wenn im Herbst die Äpfel und im Wald die Eicheln und die Kastanien von den Bäumen fielen, räumte Margrit alle Zäune ab, die Tiere konnten sich dann ihre Weide selber suchen. Und sie wussten ganz genau, wo die richtigen Bäume standen, rannten vom Stall weg auf kürzestem Weg dorthin und räumten auf. Eine Herde hat ein älteres Schaf als Leittier, welches sich auskennt und vorausrennt, alle anderen samt dem Bock folgen nach. Dann öffnet sich die Herde, die Tiere beginnen zu fressen und gehen dabei in Wiederkäuer-Manier langsam weiter. Wenn sie im Wald waren, mussten wir nur den Glöcklein folgen, sie waren leicht zu finden. Wenn die Bäuche voll waren fanden sie ohne Probleme den Heimweg und legten sich zum Wiederkäuen vor oder in den Stall.

Geburten

Die Zeit vor Weihnachten war alljährlich voller Spannung: Wir erwarteten die neuen Lämmer. Die Geburten sind weitgehend problemlos, aber dann und wann gab es eben doch Komplikationen. Und dann war da dieser enge Stall, wo es kaum eine saubere Ecke gab, wo sich das Mutterschaf hätte einrichten und gebären können. Margrit erdachte darum ein System aus beweglichen Gattern, die sich zu Boxen oder Unterteilungen zusammenstellen liessen. Wenn sich eine Geburt ankündigte, sperrte sie das Schaf in eine Ecke und gab frisches Stroh und Wasser. War das Kleine da, leckte die Mutter es trocken und es begann sofort das Euter zu suchen. Dieser erste Kontakt zwischen Mutter und Kind ist sehr wichtig, er bildet die Grundlage für die über die nächsten Monate dauernde Beziehung.

In diesen ersten Stunden sollten die beiden möglichst nicht gestört werden. Es kann sonst passieren, dass die Mutter ihr Kind nicht annimmt und man es mit der Flasche aufziehen muss. Was zwar ganz vergnüglich sein kann, aber teuer ist und sehr viel Zeit beansprucht. Ausserdem gibt es ja nichts besseres als Muttermilch, auch wenn die Industrie uns anderes lehrt. Natürlich gab es auch immer wieder Probleme. Steisslagen waren beliebt und brauchten meist handgreifliche Hilfe, auch zurückgelegte Vorderbeine kamen vor. Das Lamm kann dann stecken bleiben, ohne Hilfe kann es sterben. Margrit entwickelte sich nach und nach zur versierten Geburtshelferin.

Die Lämmer waren in der Regel gesund und standen schon nach einer Stunde auf den Beinen. Einmal hatten wir ein Lamm ohne Darmausgang, es hatte natürlich keine Chance zu überleben. Und dann haben wir in den ersten Jahren einige Lämmer kurz nach der Geburt verloren. Margrit brachte sie ins Labor nach Périgueux, wo man ein gefährliches Darmbakterium fand und uns zu einer Antibiotika-Therapie riet. Der Erfolg war gewaltig! Margrit beobachtete von da an die Lämmer in den ersten zwei, drei Tagen sorgfältig und gab bei den ersten Symptomen das Mittel, sie kamen alle über die Runden. Unklar blieb, wo die Ansteckung passieren konnte. Zwar desinfizierten wir von da an regelmässig den Stall, die Ansteckung erfolgte aber unsystematisch immer wieder.

Lämmer leben von Muttermilch, sie werden vom Menschen gewissermassen indirekt gefüttert, indem man die Mütter mit Kraftfutter versorgt. Wir gaben Gerste oder Triticale, die wir bei der Cooperative kauften, jeden Herbst eine Tonne. Im Stall bauten wir ein Silo auf und für die Verteilung bauten wir Gefässe, sodass jedem Tier seine Portion abgemessen werden konnte. Hei, war das jeden Mittag ein Fest! Die Mütter warteten auf dieses Futter, streckten ihre langen Hälse durch die Absperrungen und frassen dann hastig ihre Portion. Wenn die Nachbarin etwas langsamer war, hatte sie bald einen zweiten Kopf in ihrem Gefäss. Es wurde gedrängelt und geschubst, dass es eine Freude war. Dann gab es Heu und etwa ab März auch Weide.

Unsere Schafe trugen keine Armbanduhren, sie wussten trotzdem, wann Gerstenzeit war. Und sie warteten keineswegs brav und still, bis die Leckerei bereit war, nein, sie vollführten einen Heidenlärm. Es war also kaum möglich, diese mittägliche Fütterungsrunde zu vergessen. Das mag erstaunen, denn Schafe sind sehr stille Tiere, ganz selten nur hört man eines brüllen. Etwa wenn ein Lämmchen unter dem Hag durchschlüpfen konnte, die Mutter aber keinen Weg sah, zu ihm zu gelangen oder es zurückzuholen. Dann war Margrit als Sozialarbeiterin zum Thema Familienzusammenführung gefragt.

Hierarchie und Rangkämpfe

In der Herde herrscht eine klare und verhältnismässig stabile Rangordnung. Leitschaf ist eine ältere Schafmutter, sie muss kräftig und mutig sein und die Weidegründe gut kennen. Sie ist es, die beim Öffnen der Stalltür am Morgen die Richtung angibt, in die die Herde geht. Wenn Margrit ein kleines Stück Weide eingezäunt hat, folgt ihr dieses Schaf dorthin und mit ihm die Herde. Die Lämmer laufen mit ihren Müttern und bleiben auch bei ihnen bis nach zwei, drei Monaten diese Bindung langsam lockerer wird und ise ihrer eigenen Wege gehen. Und der Bock läuft einfach mit der Herde, manchmal hintendrein aber niemals voraus. Seine Hauptaufgabe ist es ja auch, täglich nach brünstigen Schafmüttern zu suchen. Er streckt dazu den Kopf in die Luft, zieht die Oberlippe nach oben und zieht die Luft ein, er flehmt. Dabei kann er schnell den Anschluss verpassen und muss dann hinterher galoppieren, was wegen seines Gewichts reichlich unelegant aussieht. Die Schafmütter halten regelmässig Rangordnungskämpfe ab. Am ehesten kann man das im Frühling beobachten, aber auch unter dem Jahr gibt es manchmal Herausforderinnen. Dann rennen die beiden Kämpferinnen aufeinander zu und schlagen die Schädel gegeneinander dass es knallt und uns der Schädel vom Zuschauen weh tut. Es scheint ihnen aber nichts auszumachen, auch hat es nie Verletzte gegeben, die Schädel scheinen stabil konstruiert zu sein. Der Kampf ist zu Ende, wenn das eine Schaf sich abdreht und wegläuft. Wir konnten aber auch beobachten, dass beide wie auf Kommando sich wegdrehten: Unentschieden durch Müdigkeit. Die Rangordnung bleibt nach so einem Kampf wieder lange Zeit stabil, meist ein ganzes Jahr lang.

Der Bock steht offenbar ausserhalb der Rangordnung der Mütter, wir haben ihn jedenfalls nie in so einer Auseinandersetzung gesehen. Hingegen wurde er sehr aktiv, wenn innerhalb der Herde junge Böcklein grösser wurden und auch zu flemen anfingen. Da wurde er vermenschlicht gesagt eifersüchtig und versuchte die Rivalen zu verjagen. Und er machte das auf sehr rücksichtslose und harte Art, die kleinen flogen manchmal im hohen Bogen davon. Wenn der Stall gut belegt und die Türe geschlossen war, konnte das schon ordentlich gefährlich werden. Wir trennten dann ein Kinderabteil ab mit einem Durchschlupf für die Kleinen, da konnten sie sich dann in Sicherheit begeben.

Scheren

Die Wolle der Schafe wächst lebenslang ununterbrochen. In der freien Wildbahn fällt sie im Laufe des Sommers in Büscheln ab, die Schafe sehen dann aus wie räudige Hunde - wirklich kein schöner Anblick! Will man die Wolle nutzen, muss man sie abschneiden, das Schaf scheren. Die Schafe fühlen sich ohne Wolle aber auch besser im Sommer: Sie bleiben kühler und fressen mehr. Also engagiert man einen berufsmässigen Scherer, der das schnell erledigt und pro Tier bezahlt wird. Nun sind Scherer aber meist selber Schafhalter, das Scheren ist eine Nebenbeschäftigung und Hobby-Schafhalter mit vier oder sechs Schafen sind für sie total uninteressant. Das haben sie uns auch ausführlich merken lassen - sie gingen lieber zu den grossen Herden, uns liessen sie warten. Es wurde meist Juni oder sogar Juli und brauchte mehrere Telefonate bis unsere paar Tiere endlich geschoren waren.

Die Wolle konnten wir in den ersten Jahren in eine Sammelstelle geben und bekamen einen Franc pro Kilo, was etwa dem Lohn des Scherers entsprach. Aber Naturwolle war schon Anfang der neunziger Jahre nicht mehr gross gefragt, wir konnten sie zwar noch abgeben, bekamen aber nichts mehr dafür, dann wurde die Sammlung aufgegeben. Zuerst dachten wir, sie selber zu waschen und zu verarbeiten, aber das ging über unsere Möglichkeiten - zuerst verschenkten wir sie, dann warfen wir sie fort. Heute - 25 Jahre später - besinnt man sich, Naturwolle scheint wieder zu kommen.

Das Warten auf den Scherer wurde nach und nach zu einer so unerfreulichen Sache, dass wir daran dachten, diese Arbeit selber zu lernen. So schwierig konnte das doch wohl nicht sein, schliesslich hatten wir mehrmals zugeschaut und auch dazu gelesen. Aber «grau ist alle Theorie» sollten wir auch hier wieder erfahren! Zuerst ging es unter tätiger Mithilfe des P'tit Bergeracois auf die Suche nach einer Schafschermaschine. Ein ehemaliger Scherer, der wegen Rückenproblemen aufgeben musste, verkaufte uns eine seiner Maschinen und führte uns auch liebevoll in die technischen Details und die Pflege ein. Es gibt zwei Typen solcher Maschinen: Die einen sind wie ein Rasierapparat gebaut, sie haben einen Motor mit aufgesetztem Schneidwerk. Die Profis haben jedoch Maschinen mit aufgehängtem Motor, dessen Kraft über eine Mechanik zum Handstück mit den Schneidwerk führt. Unser Gerät gehörte zur ersten Gruppe und wir merkten bald, dass die Arbeit damit sehr ermüdend war: Der Motor war schwer und wurde im Betrieb auch heiss, bald fiel mir der Arm ab und wir mussten aufhören. Da wir ja keine 200 Schafe zu scheren hatten, durften wir uns diese Schwäche leisten und am folgenden Tag weitermachen. Es wurde uns aber klar dabei, warum der alte Scherer krank geworden war. Ich erinnere mich noch an unsere ersten Scherversuche, wie wenn es gestern gewesen wäre. Ich hatte das Schaf zwischen den Knien, Margrit stand neben mir und las mir aus der Anleitung vor und ich versuchte, vom Papier zur Praxis zu kommen: Am Kopf fängt man an, macht dann den Hals und die beiden Vorderbeine... Schon war das Schaf aufgesprungen und davongelaufen. Nur die Ruhe - einfangen und weiter machen. Nach einer halben Stunde war das Schaf erst halb geschoren, aber wir waren beide fertig, ich war wütend und hätte am liebsten Köpfe statt Wolle abgeschnitten, Margrit heulte und rief: Niemals werde wir das schaffen!

Wir haben es natürlich schliesslich doch geschafft, aber es war eine harte Schule! Die Tiere können sich, wenn sie auf dem Rücken liegen, nur schlecht wehren. Wenn man aber einen Augenblick lang unkonzentriert ist, merken sie das und hauen ab. Unkonzentriert sein heisst auch, dass man sie schneidet, denn es gibt einige Stellen am Körper, wo das sehr leicht passieren kann: in der Achselhöhle und in der Leiste. Wir hatten für diesen Fall einen desinfizierenden Spray, mit dem wir die Wunden grosszügig behandelten. Die Tiere sahen dann aus wie Hodlerkrieger, statt mit rotem Blut waren sie allerdings mit blauem Spray dekoriert. Kurz und gut: Am Ende hatten wir zwanzig mehr oder weniger professionell geschorene Schafe und waren unendlich stolz auf uns.

Geschorene Schafe sehen nicht nur anders aus als bewollte, sie riechen offenbar auch anders, weil sie weniger schwitzen. Das führte jedesmal zu einiger Aufregung unter der Jugend, denn die Lämmer erkannten ihre Mütter nicht mehr. Es konnte einen ganzen Tag dauern, bis der innere Frieden in der Herde wieder hergestellt war. Geschorene Schafe benehmen sich auch anders als bewollte, wir hatten oft den Eindruck, sei seien eine schwere Last los, seien fast verjüngt, wenn sie plötzlich wie Lämmer herumrannten und sprangen.

Ade Schafe

Nach fast 15 Schafjahren sah ich langsam meinen Fünfundsechzigsten näher rücken und fand, wir könnten nun langsam und vorsichtig über das Aufhören nachdenken. Aber das war kein Thema, noch nicht. Ich gehe in solchen Fällen nach dem «Stehter Tropfen höhlt den Stein-Prinzip» vor: Ich rede von Zeit zu Zeit von meinem Thema, einmal direkt, ein anderes Mal drumherum und immer ohne zu drängen. Margrit hörte brav zu, aber sie war noch lange nicht bereit und warf mir vor, ich wollte ihr das Liebste wegnehmen. Und da hatte ich doch immer gedacht, ich sei ihr Liebstes...

Es dauerte noch fast drei Jahre bis wir wirklich mit dem Rückbau begannen. Zuerst schlachteten wir die ältesten Mütter und den Bock. Der arme Kerl hatte offenbar schon länger Probleme mit den Zähnen und konnte nicht mehr richtig wiederkäuen - wir hatten es nicht bemerkt, oder nicht bemerken wollen? Dann kamen einige Lämmer in die Tiefkühltruhe und schliesslich fanden wir einen Hobbyschäfer, der uns die letzten Mütter und Lämmer abkaufte. Es war ein trauriger Tag, als er mit seinem Wagen kam und sie einlud. Aber am Abend waren wir dann etwas gefasster und spürten auch die Erleichterung - sie waren uns am Schluss langsam eine Last geworden, unsere lieben Schäfchen.

Ich erinnere mich gut, dass sich in der folgenden Zeit eine eigenartige Lähmung über uns legte. Der Stall blieb unausgemistet (und es ist es heute noch...), die Einrichtungen mochten wir nicht aufräumen und die Zäune bauten wir erst ab, als sie anfingen umzufallen. Erschöpfung? Trauer? Aberglaube? Ich weiss es nicht. Aber wir waren klar erleichtert. Und wenn wir an einem kalten und regnerischen Morgen beim Frühstück sassen, konnte einer von uns fragen: «Weisst du, was du jetzt tun würdest, wenn wir die Schäfchen noch hätten?» Ja was denn? In Stiefeln und Südwester durch die Wiesen stampfen und die Schafnetze umstellen... Die Schermaschine haben wir behalten und im Lauf der Zeit auch immer wieder ausgeliehen an Schafhalter mit zwei oder drei Schafen, die wochenlang auf den Schrer warteten. Und Margrit stürzte sich mit viel Elan in den Hundesport. Ohne allerdings die Schafe je zu vergessen.

Bilanz

Ihre erste Assiziation ist sicher Gewinn, pekuniärer natürlich. Nix zu melden. Ich habe über einige Jahre penibel Buchhaltung geführt: Die Schafhaltung hat uns nicht reich gemacht. Einnahmen und Ausgabe hielten sich in etwa die Waage, der Lohn der Bergère war mit einem Franc pro Jahr zur Erinnerung in der Buchhaltung. Futter, Medikamente und Nebenkosten frassen unsere Fleischverkäufe meistens auf. 'Ab fünfhundert Schafen kann man davon leben', hatte man uns gesagt. Mag sein, nur lebten die Schafhalter mit fünfhundert Schafen unserer Beobachtung nach keineswegs in Saus und Braus. Schafhaltung ist klar extensive Landwirtschaft, da gibt es nichts zu verdienen.

Aber selbstverständlich gab es andere Ebenen der Betrachtung als die der Rendite. Das Experiment jede Menge hatte Erträge auf immateriellen Ebenen, Erlebnisse, Erfahrungen, Glück und Enttäuschung, Momente von Erfahrung und Selbsterfahrung, wie man sie sonst kaum erlebt. Das Wichtigeste überhaupt, diese Arbeit schweisste uns zusammen, schuf eine intime Gemeinsamkeit.

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